Bahnhof des Jahres
Vorhang auf für Vorbilder: Der Wettbewerb Bahnhof des Jahres
Von Andreas Geißler, Leiter Verkehrspolitik bei der Allianz pro Schiene und Jury-Mitglied Bahnhof des Jahres
2004 hat die Allianz pro Schiene den Wettbewerb „Bahnhof des Jahres“ ins Leben gerufen und prämiert seitdem einmal jährlich die besten Bahnhöfe Deutschlands. Der Maßstab ist dabei die Kundensicht: Ausgezeichnet werden Bahnhöfe, die nicht nur funktional mit Kundeninformation, Serviceangeboten und einer guten Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln überzeugen, sondern die darüber hinaus Orte mit hoher Aufenthaltsqualität sind, an denen sich Reisende und Besucher wohlfühlen.
Die medienwirksame Auszeichnung „Bahnhof des Jahres“ würdigt nicht nur Engagement und Leistung der jeweiligen Macherinnen und Macher vor Ort. Ein wesentliches Ziel ist es, einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen, wie gute Bahnhöfe gelingen können. Der Wettbewerb möchte Vorbilder präsentieren, die zur Nachahmung anregen.
Bahnhöfe als Gemeinschaftsaufgabe
Die Erfahrungen des Wettbewerbs haben klar gezeigt: Bahnhöfe sind mehr als bloße Knotenpunkte für den öffentlichen Verkehr. Sie sind emotionale Orte der Begegnung und des Abschieds. Sie sind Visitenkarten einer Stadt und ein Aushängeschild für den umweltfreundlichen und sicheren Verkehrsträger Schiene. Und sie sind Orte mit einer Schlüsselrolle für die Verkehrswende, wenn sie dazu beitragen, Menschen zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr zu bewegen.
Zugleich sind die Bahnhöfe in Deutschland auch eine gewaltige Herausforderung. Wie die Schieneninfrastruktur insgesamt haben auch die Bahnhöfe darunter gelitten, dass hierzulande viel zu lange viel zu wenig in die Schiene investiert wurde. Beim Thema Bahnhof kam aber noch ein weiteres Problem hinzu. Mit der Bahnreform von 1994 hatte sich der Bund für eine Schmalspur-Definition entschieden: als Schieneninfrastruktur galt fortan nur die sogenannte Verkehrsstation, also im Kern die Bahnsteiganlagen samt Zugängen. Die aus Sicht der Reisenden zentralen Empfangsgebäude blieben dagegen bei der öffentlichen Finanzierung weitgehend außen vor. Die Gebäude mussten sich z.B. durch Mieteinnahmen selbst tragen. Das aber ist, gerade in der Fläche, häufig schwierig. Erst im Sommer 2024 wurde dieser Webfehler der Bahnreform endlich korrigiert und eine neue Finanzierungsoption von Bahnhofsgebäuden durch den Bund geschaffen.
Außerdem begegnen sich an Bahnhöfen die Zuständigkeiten vieler Akteure. Dies nicht nur, weil nach den großen Verkaufswellen in der Vergangenheit heute ein Großteil der Bahnhofsgebäude nicht mehr im Besitz der DB AG ist. Zu einem Bahnhof gehören auch ein Vorplatz, eine Einbindung in den Ort, Verknüpfungen mit anderen Verkehrsträgern und vieles mehr. Gute Bahnhöfe sind also nicht allein Sache der Bahn. Bahnhöfe brauchen auch das Engagement von Kommunen, Bahnhofsbesitzern und Ländern.
Der Blick der Jury
Welche Bahnhöfe für den begehrten Titel „Bahnhof des Jahres“ in Frage kommen, prüft die zehnköpfige Jury jedes Jahr auf einer gemeinsamen Reise. Die Jury ist dabei natürlich unangemeldet unterwegs, denn sie will die Bahnhöfe so erleben, wie die Alltagsnutzerinnen und Alltagsnutzer auch. Wichtig ist der Jury ein gesamthafter Blick. Denn es gibt nicht nur eine Nutzerperspektive, sondern viele. An Bahnhöfen sind Pendlerinnen und Pendler unterwegs, ebenso wie Geschäftsreisende oder Touristen. Für manche Nutzer sind gute Abstellmöglichkeiten für Rad oder Pkw wichtig, für andere kurze Umsteigewege zu Bus und Straßenbahn oder die Möglichkeit, die wichtigsten Besorgungen gleich im oder am Bahnhof zu erledigen. Die unterschiedlichen Perspektiven der Nutzerinnen und Nutzer spiegeln sich in der Zusammensetzung der Jury:
In ihr sind die drei großen deutschen Kundenverbände Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Fahrgastverband Pro Bahn und der Deutsche Bahnkunden-Verband (DBV) vertreten. Auch der Auto Club Europa (ACE) stellt ein Jury-Mitglied – schließlich fahren nicht wenige Bahnkunden mit dem Auto zum Bahnhof. Die Perspektive des Radverkehrs bringt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) mit ein, das Thema „Nutzen statt Besitzen“ der Bundesverband CarSharing (bcs). Alle sechs Organisationen sind Mitglied der Allianz pro Schiene, die ihrerseits mit zwei Vertretern der Geschäftsstelle in der Jury repräsentiert ist. Hinzu kommen zwei Tourismus-Expertinnen: Die Kooperation Fahrtziel Natur und der Deutsche Tourismusverband senden je eine Vertreterin in die Jury.
Was die Jury-Mitglieder bei ihren Bahnhofs-Tests immer wieder begeistert, ist die große Bandbreite guter Beispiele, die sie in ganz Deutschland finden. In der Galerie der Bahnhöfe des Jahres finden sich Hauptbahnhöfe großer Städte ebenso wie Landstationen, es findet sich historische Bahnhofsarchitektur genau wie moderner Neubau. Vielfältig sind auch die Eigentumsverhältnisse bei den Bahnhöfen des Jahres. Bei den Eigentümern der Gebäude reicht das Spektrum von der Deutschen Bahn über NE-Bahnen, Kommunen, private Investoren bis hin zu Genossenschaften, in denen sich Bürgerinnen und Bürger für ihren Bahnhof engagieren. Bei aller Vielfalt gibt es aber ein klares gemeinsames Erfolgsrezept: die Bahnhöfe des Jahres bieten Reisenden und Besuchern viel Aufenthaltsqualität, präsentieren sich als ganzheitliche, moderne Mobilitätsorte aus einem Guss und haben eine starke Verbundenheit mit der Region.
Übersicht der Bahnhöfe des Jahres 2019-2023
Die Sieger des Jahres 2024
Im Jahr 2024 geht der Titel „Bahnhof des Jahres“ an den Bahnhof Bautzen in Sachsen. Der Bahnhof Bautzen hat die Jury nicht nur mit seiner prächtigen, denkmalgerecht sanierten Fassade beeindruckt. Auch in seinem Inneren präsentiert sich der Bahnhof nach einem Umbau hell und offen. Bautzen ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie es mit neuen Nutzungsformen gelingen kann, ein vom Verfall bedrohtes Bahnhofsgebäude wieder zu einem lebendigen Ort für Reisende und Anwohner zu machen. Nach einem Beschluss des Kreistages 2016, Teile der Verwaltung künftig im Bahnhof Bautzen unterzubringen, wurde das Gebäude mithilfe eines privaten Investors zwischen 2017 und 2020 saniert und hat ein neues Innenleben erhalten. Heute sind darin neben Reisezentrum und Bäckerei auch Büros des Landratsamts, der Kfz-Zulassungsstelle und einer Krankenkasse untergebracht, sodass Reisende und Anwohner gleichermaßen profitieren.
Positiv fielen der Jury am Bahnhof Bautzen neben Sauberkeit und attraktivem Vorplatz das Café mit seinem Angebot an warmen und kalten Speisen auf, die Sitzmöglichkeiten im Innen- und Außenbereich sowie die Gepäckaufbewahrungsmöglichkeit. In der Bahnhofshalle stimmt ein großes Modell der Altstadt die ankommenden Reisenden auf einen Bummel durch das geschichtsträchtige Bautzen ein. Hinzu kommt eine gute Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln. Hier lobten die Bahnhofsexperten die zahlreichen Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Pkw mit kurzen Wegen zu den Gleisen.
Bahnhof des Jahres 2024: Bautzen
Ein Sonderpreis geht zudem nach Sörup in Schleswig-Holstein. Hier würdigt die Jury das Engagement der Gemeinde, die dafür gesorgt hat, dass das historische Bahnhofsgebäude saniert wurde und wieder für die Reisenden zugänglich ist. Zugleich wurde auch das Bahnhofsumfeld neu und ansprechend gestaltet.
Obwohl es sich bei Sörup um eine kleine Landstation handelt, gibt es im Bahnhofsgebäude einen kleinen Warteraum sowie eine Toilette. Auch W-Lan ist verfügbar. Im direkten Umfeld des Bahnhofs gibt es eine Bäckerei und einen Supermarkt, im Gebäude selbst ein Eiscafé mit gemütlichem Außenbereich, das täglich geöffnet hat. Neu gestaltet wurde auch die Verknüpfung zum Busverkehr; die Busse fahren nun direkt vorm Bahnhofsgebäude an einer neuen Wendeschleife ab.
Die diesjährigen Preisträger beim Bahnhof des Jahres zeigen erneut: Ein guter Bahnhof lebt vom Engagement vieler Beteiligter, er lebt von neuen Nutzungsideen und davon, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Reisenden mitgedacht werden. Diese vorbildlichen Bahnhöfe stellen wir ins Schaufenster, auf dass sie andere inspirieren sich für ihren Bahnhof zu engagieren und sie zu Orten zu machen, an denen sich Reisende gerne aufhalten.