Mehr Platz für mehr Züge – ein Gespräch zum Ziel von 145 Serviceeinrichtungen bis 2030
21.08.2024
„Serviceeinrichtungen sind wichtige Bausteine, damit Züge überhaupt fahren können“ - ein Interview über die Bedeutung zukunftsfähiger Ab- und Bereitstellungsgleise
Saubere Züge, pünktlich bereitgestellt für die nächste Zugfahrt, sind nur im Zusammenwirken mit gut ausgestatteten und funktionierenden Serviceeinrichtungen möglich. Diese sind essenziell für die Vor- und Nachbereitung von Zugfahrten. Bereits heute stößt unsere Schieneninfrastruktur aber an ihre Grenzen. Mit der Umsetzung des Deutschlandtakts wird der Schienenpersonenverkehr sowie der Schienengüterverkehr weiterwachsen. Ob neue Verkehre, längere Züge oder neue Anforderungen wie z. B. der Einsatz alternativer Antriebe: die zwingend dafür erforderlichen Serviceeinrichtungen für Ab- und Bereitstellung müssen mitwachsen. Daher strebt die DB InfraGO AG an, 145 Serviceeinrichtungen bis 2030 bedarfsgerecht zu erweitern.
Wir haben über dieses Thema mit Vertreter:innen eines Aufgabenträgers sowie von Eisenbahnverkehrsunternehmen des Schienenpersonennah- und -fernverkehrs gesprochen: Bärbel Fuchs (Geschäftsführerin der Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH), Hartmut Körbs (Geschäftsführer und Eisenbahnbetriebsleiter der Transdev Hannover GmbH) und Michael Mittag (Director Network Planning & Market Access der FlixTrain GmbH).
Die Sichtweise von Branchenvertreter:innen aus dem Schienengüterverkehr werden wir in einem Folgebeitrag im Laufe des Herbstes darstellen.
Die DB InfraGO AG formuliert als eine ihrer strategischen Zielsetzungen den Ausbau ihrer Serviceeinrichtungen für Ab- und Bereitstellung, Umschlag und Zugbildung. Halten Sie eine Fokussierung auf dieses Thema für gerechtfertigt?
Michael Mittag (FlixTrain): Funktionierende und marktgerecht ausgebaute Serviceeinrichtungen sind ein wichtiger Baustein, damit Züge überhaupt fahren können. Es ist längst überfällig, dass diese wichtigen Verkehrsanlagen jetzt stärker in den (politischen) Fokus kommen. Es ist und bleibt aber ein komplexes und kleinteiliges Thema, das für Außenstehende wenig attraktiv ist. Umso wichtiger ist daher, dass wir uns als Branche gemeinsam dafür einsetzen.
Hartmut Körbs (Transdev): Absolut! Mich persönlich und die S-Bahn Hannover freut es sehr, dass nach Jahrzehnten im "Schatten der Trasse" die Serviceeinrichtungen in ihrer Bedeutung für die Vor- und Nachbereitung von Zugfahrten nun eine hohe Priorität bekommen haben. Im Personenverkehr haben die Fahrgäste und Aufgabenträger hohe Erwartungen an den Zustand der eingesetzten Fahrzeuge. Diese Qualität lässt sich nur mit dafür ausgelegten Serviceeinrichtungen erzeugen.
Bärbel Fuchs (BEG): Auch die BEG hält eine Fokussierung auf dieses Thema für absolut wichtig und gerechtfertigt. Das Angebot an Abstellgleisen, die für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) geeignet sind und günstig im jeweiligen Netz liegen, ist zu gering. Das Verkehrsunternehmen, welches den Zuschlag für ein Ausschreibungsnetz erhalten hat, muss um die günstig gelegenen Abstellgleise „kämpfen“, die oftmals bereits vergeben sind. Das ist ein Problem, das natürlich nicht nur den SPNV betrifft, sondern auch den Fern- und Güterverkehr. Wir alle kämpfen immer wieder um die gleichen Abstellgleise und Streckentrassen.
Bärbel Fuchs, Geschäftsführerin der Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH
Welche Bedeutung hat ein bedarfsgerechter Ausbau von Serviceeinrichtungen des Personenverkehrs für Sie als Eisenbahnverkehrsunternehmen bzw. Aufgabenträger?
Bärbel Fuchs (BEG): Der Ausbau von Serviceeinrichtungen für den Schienenpersonennahverkehr hat eine große Bedeutung. Denn wir wollen das Angebot für die Menschen weiter ausbauen und keine unnötigen und unwirtschaftlichen Leerfahrten in entfernte Abstellanlagen finanzieren, wodurch wiederum die Kapazität auf den Trassen reduziert wird. Außerdem wird dadurch insgesamt die Produktivität im Nahverkehr verschlechtert und genau genommen Steuergelder nicht effektiv ausgegeben. Daher haben wir der DB InfraGO AG bereits von uns ausgearbeitete Abstellkonzepte und -vorschläge zur Verfügung gestellt.
Hartmut Körbs (Transdev): Es hat für uns als S-Bahn Hannover ebenfalls eine enorme Bedeutung. Neue Fahrzeuge und eine deutliche Zunahme des Verkehrsangebots durch die Länder, erzeugen einen hohen Bedarf und gestiegene Anforderungen an Serviceeinrichtungen für den Personenverkehr. Das neue "Abstellgleis" muss gute und sichere Wege für Betriebs- sowie Reinigungspersonale bieten. Darüber hinaus auch ausreichende Beleuchtung und Lagermöglichkeiten für Materialien der Fahrzeuginnenreinigung. Wasserfüllstellen und WC-Entsorgungsstationen an bestimmten Standorten runden das Bild ab.
Michael Mittag (FlixTrain): FlixTrain benötigt für die Produktion in ganz Deutschland Abstell- und Serviceeinrichtungen, in denen die Züge nachts behandelt und für die Fahrgäste wieder fit gemacht werden. Die Verfügbarkeit und Ausstattung der Anlagen ist sehr unterschiedlich und gelegentlich auch nicht korrekt in den Systemen hinterlegt, die Anforderungen im Fernverkehr mit lokbespannten Reisezugwagen noch einmal höher. Gerade was die benötigten Zusatzausstattungen wie z. B. Wasser- und Stromversorgung angeht, wurde in den letzten Jahren viel zu wenig investiert. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Michael Mittag, Director Network Planning & Market Access der FlixTrain GmbH
Bis 2030 will die DB InfraGO AG insgesamt 145 Serviceeinrichtungen erweitern und modernisieren, rund die Hälfte davon für den Personenverkehr. Welche Auswirkungen hätte es aus Ihrer Sicht, wenn die Maßnahmen nicht vollständig umgesetzt würden?
Bärbel Fuchs (BEG): Aufgrund der aktuellen Situation müssen wir davon ausgehen, dass sich der Mangel an günstig gelegenen Abstellgleisen und Serviceeinrichtungen noch verschärfen würde. Zu befürchten ist auch, dass dann die bereits erwähnten Leerfahrten zunehmen würden und die pünktliche Bereitstellung von einsatzbereiten Fahrzeugen weiter erschwert würde. Im schlimmsten Fall könnten nicht alle von uns bestellten Nahverkehrszüge fahren, wenn es für sie keine Abstellgleise gibt, was unvorstellbar ist mit Blick auf die Notwendigkeit einer klimaschonenden Verkehrswende. Wir erwarten in jedem Fall auch für uns Besteller weiter steigende Kosten, was in der Konsequenz wiederum zu weniger Angebot auf der Schiene führt.
Michael Mittag (FlixTrain): 145 Maßnahmen sind mit Blick auf den kurzen Zeitraum und die mangelnde finanzielle Ausstattung bis 2030 kaum realisierbar. Weitaus kritischer sehen wir aber, dass der Fernverkehr nur von wenigen der bisher geplanten Maßnahmen profitieren wird - da hätten wir uns deutlich mehr gewünscht. Das zeigt aber auch, dass wir als EVU das Thema selbst in die Hand nehmen müssen, um langfristig adäquate Abstell- und Serviceeinrichtungen nutzen zu können - besonders vor dem Hintergrund des von FlixTrain geplanten Wachstumskurses.
Hartmut Körbs (Transdev): Ich denke, es ist die Aufgabe der Politik als auch der Eisenbahnunternehmen mehr Vertrauen in das System Eisenbahn zu schaffen und den Menschen, die für die Eisenbahn arbeiten, gute Arbeitsbedingungen zu bieten. Mit einem "Weiter so" oder "Irgendwie" wird die Attraktivität der Eisenbahn für Fahrgäste und Mitarbeitende abnehmen.
Hartmut Körbs, Geschäftsführer und Eisenbahnbetriebsleiter der Transdev Hannover GmbH